Rechts, rechter, am rechtesten?

  • 0

Dass die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) unter ihrem Obmann Heinz-Christian Strache und anderen treudeutschen Lichtgestalten wie dem umstrittenen Dritten Präsidenten des Nationalrats Dr. Martin Graf (beide selbst schlagende Burschenschafterallerdings in unterschiedlichen akademischen Kategorien) in sämtlichen politischen Diskursen diesen „traditionellenStudentenvereinen ehern die Stange bzw. den Schläger hält, ist nicht verwunderlich. Aus den rechten Recken rekrutiert sich ein beachtlicher Teil der FPÖ Stammwählerschaft. Anders gesagt, würde Mitgliedern einer schlagenden Burschenschaft in heutigen Zeiten keine andere wählbare politische Partei als die FPÖ in den Sinn kommen. Mangels Angebot. Die vormalige NDP (Nationaldemokratische Partei) des Norbert Burger wurde in Österreich vom Verfassungsschutz verboten, wie auch andere politische Gruppierungen mit rechtsextremen und neonazistischen Elementen, denen nach NS-Verbotsgesetz Aktivitäten im Sinne einer NS-Wiederbetätigung nachgewiesen werden konnten. In ihrer aus dem Vormärz und der Revolution von 1848 heraufgezogenen Tradition kommen für die schlagenden Recken die gesamte Linke und die Liberalen nicht infrage, aber auch weniger die ÖVP, die politische Heimat der konkurrierenden christlichen Studentenverbindungen im CV (Cartell-Verband). Mehr dazu an späterer Stelle.

Gemeinsamer Nenner

Diese Alternativlosigkeit im Bestreben, in Österreich eine politische Heimat zu finden, müssen sich die schlagenden Burschenschaften demzufolge auch mit Rechtsextremen und Neonazis teilen, ob sie nun wollen oder nicht. Andererseits kann sich eine politische Partei in einer Demokratie ihre Wähler und Wählerinnen nicht aussuchen. Je nach dem, wie weit eine Partei ihr inhaltliches Angebot, ihre Ideologie fasst, darf sie sich nicht wundern, wer aller daran andockt. Faktum ist, dass auf rechtsextremen wie neonazistischen Webseiten (z. B. die frühere „Alpen-Donau-Info„) Unterstützung und Wahlempfehlungen für die FPÖ bzw. deren Kandidaten und Kandidatinnen postuliert wurdennicht in euphorischer Begeisterung, aber als kleinster gemeinsamer Nenner. Wer das als Lob von der falschen Seite empfindet, müsste eben inhaltlich entsprechend nachjustieren. Zum Beispiel die Festlegung, Österreich nur als „Teil der deutschen Sprach– und Kulturgemeinschaft[i]anzusehen.

Formuliert im Parteiprogramm der rechtspopulistischen FPÖ, können sich hier völkische Nationalisten aller Ausprägungen und Bildungsniveaus, aber auch Fortschrittsverlierer und Ausländerfeindliche aus untersten sozialen Schichten wieder finden.

Das „Konservative Prinzip

Traditionen und das kulturelle Erbe für nachkommende Generationen und deren historisches Verständnis zu konservieren macht jede Kulturnation aus. Entscheidend ist der Rahmen, in dem die Konservierung stattfindet – in der allgemeinen Bildung, in Museen, Traditions- und Folklorevereinen, in Schützenvereinen oder eben Studentenverbindungen, ob dieser Rahmen den fortschrittlichen Entwicklungen genügend Raum lässt, ihnen nur zur Seite steht und im weitesten Sinne unpolitisch bleibt, oder zur politischen Agitation instrumentalisiert wird. Skeptik ist stets angebracht, wenn mit der konservierten Tradition auch Heldenverehrung aus kriegerischen Auseinandersetzungen verbunden ist. Etwa die so genannte „Südstaatler-Tradition“ in den USA kann so lange als konservierend-harmlos angesehen werden, so lange sich ihre Proponenten nur bei Vereinstreffen die Fahne der Konföderierten um die Brust schlingen und mit Zinnfiguren die Schlachten des Bürgerkrieges nachspielen. Wenn sie sich heute Geheimbünden wie Ku Klux Klan, White Power etc. anschließen und rassistische Aktivitäten unterstützen und fördern, ist das Maß demokratischer Freiheit und menschenrechtlicher Toleranz eindeutig überschritten. Das aber auch dann und hierzulande, wenn „harmlose Ballbesuchersich mit Pfefferspray gegen verbale Attacken im Zuge einer angemeldeten Demonstration des „linken Mobs“ bewaffnen, diesen gegen Wehrlose auch einsetzen und sich von Rechtsextremen und bekannten Neonazis „beschützenlassen, die dann Altpolitiker der Linken auf dem Heimweg von der Demonstration mit Schlagringen niederschlagen.[ii]Der selbst auferlegte Ehrbegriff im Sinne der Satisfaktionsfähigkeit und der Waffengleichheit ist damit mit Sicherheit auch verletzt.

Ehre, Freiheit, Vaterland

Der Unterschied zwischen katholischen, im CV vereinigten Studentenverbindungen und deutschnationalen Burschenschaften ist schon an deren oberstem Motto erkennbar. Während bei beiden an oberster Stelle die Ehre steht und beiden das Männerbündische, die exakt strukturierten Abläufe bei Bierkommersen und ein konservatives Rollenbild der Frau aus dem 19. Jahrhundert gemeinsam sind, kommt bei ersteren gleich nach der Ehre wenigstens Gott, noch vor dem Vaterland. Bei letzteren kommt nach der Ehre die Freiheit, die es seit dem Vormärz und der Revolution von 1848 immerwährend zu verteidigen gilt, als wären bisherige globale Entwicklungen wie moderne Demokratie und Erklärung der allgemeinen Menschenrechte keine ausreichenden Mittel, die Freiheit des Individuums zu gewährleisten. Der Freiheitsbegriff der schlagenden Burschenschaften orientiert sich nach dem revolutionären Kampf gegen den von Staatskanzler Metternich in der katholischen Habsburgermonarchie errichteten Polizei- Überwachungs- und Spitzelapparat, mit dem Freiheitsgedanken aus der Französischen Revolution brutal unterdrückt wurden. Die enge Bindung des Herrscherhauses und somit des Staates an den Katholizismus erklärt auch aus revolutionärer Sichtweise dessen Ablehnung in den deutschnationalen schlagenden Burschenschaften und die Konfrontation mit dem CV, wovon zahlreiche Spottgesänge aus dem „deutschen Liedgut“ bis heute zeugen. Wenn schließlich das Vaterland zu verteidigen war, wurde darunter von Anfang an das „Deutsche“ verstanden, dessen „völkische Überlegenheit“ besonders im Vielvölkerstaat der Donaumonarchie und im Jahrhundert der sich ausprägenden Nationalismen zu thematisieren war.  Nicht von ungefähr ergaben sich in Folge auch Synergieeffekte mit entstehenden deutschnationalistischen und rassistischen politischen Parteien und Bewegungen.

Tradition des überhöhten Ehrbegriffes

Im Gegensatz zur persönlichen Wehrhaftigkeit, die dem Selbstschutz in unvorhersehbaren Situationen (etwa bei Überfällen) dient, gehen die Ursprünge des ausgemachten Duells auf Einladung und nach standarisierten Regeln auf ein tiefes menschliches Bedürfnis zurück – reaktive und endogene Aggressionen befriedigen zu können, deren Befriedigung aber generell Konventionen und gesellschaftliche Normen entgegen stehen. Die Implementierung eines stark überhöhten Ehrbegriffes ist dabei insofern nützlich, als daraus Beleidigungen konstruiert werden können, die im Sinne einer verständlichen Reaktion sofort zur Duellforderung und somit zur Wiederherstellung der Ehre führen, während endogene Aggressionen und deren Befriedigung im Selbstbild des „edlen Rittertums“ nichts verloren haben. So wurde und wird nicht selten ein frecher Blick, ein vorlautes Wort dazu instrumentalisiert, persönliche Animositäten gegen den Kontrahenten im Zuge eines „ehrenhaften“ Duells abzuarbeiten. Die Ehre derer, die damals „vom breiten Stein nicht wankten und nicht wichen[iii], wird von den „Charchierten“ in ihren historischen Kostümen bis heute hochgehalten, die persönliche Ehre und die der eigenen Burschenschaften nach strengem Reglement verteidigt, notfalls mit Waffen in Form der Mensur, die an historische Fechtduelle zur Ehrenrettung erinnert, aber heute nur noch der „sportlichen und körperlichen Ertüchtigung“ dienen soll. Wer bei den schlagenden Recken das Fechten erlernen will, ist dennoch fehl am Platz. Auch mit sportlicher Ertüchtigung hat die Mensur kaum zu tun, ist doch die oberste Regel das reglose Stillhalten im Stande, das Ausweichen streng verpönt, eine Hand am Rücken zu halten und sind mit dem in der Schlaghand geführten Schläger mit eintrainierten, exakt vorgeschriebenen Hieben, die größtenteils unnatürliche Bewegungsabläufe erfordern, die ungeschützen Körperteile (Oberkopf, Stirn und Wangen) zu verteidigen bzw. die des Kontrahenten zu treffen. Nach jeweils vier bis sechs Hieben eines „Ganges“ fährt der Sekundant dazwischen und der nächste Waffengang beginnt. Je nach Zugehörigkeitsdauer gibt es „Fuxen“- und „Burschen“-Mensuren mit unterschiedlicher Anzahl der zu absolvierenden Gänge (bis 40, selten 60). Das Mensurschlagen in das Gesicht wird „deutschhoch“ genannt und ist in akademischen Burschenschaften gang und gäbe. In den Oberstufen der Mittelschulen, in den so genannten Pennäler-Verbindungen, wird oft auch „deutschtief“ gefochten, d. h. auf entblößten Oberkörper, um die noch jugendlichen, potenziellen Opfer gesellschaftlicher Missbilligung vor diesbezüglichen Blicken ins narbige Gesicht zu schützen. Denn wenn auch der Mensurpflichtige in „sportlichem“ Ehrgeiz von seinem Fechtwart darauf trainiert wird, die Hiebe so exakt auszuführen, dass Verletzungen vermieden werden, geht eine Mensur kaum ohne eindeutige „Schmisse“ ab.

Gelindere Mittel des Ehrenschutzes

Der guten Ordnung halber sei erwähnt, dass zur Herstellung der persönlichen Ehre nicht immer das deftige Mittel der Mensur erforderlich ist. Kleinere Beleidigungen im Laufe der Festkommerse und des geselligen Beisammenseins kann der schuldige Bundesbruder durch befohlenen Bierkonsum sühnen, indem er sich vor Angesicht der Runde „ad libitum“ oder „ad Rest stärkt“. Regelungen dazu  sind im so genannten  „Bierkomment“ festgelegt. Im zivilen Verkehr mit der nichtprivilegierten Masse sonstiger Bürger und Bürgerinnen wird die persönliche Ehre jedoch unbewaffnet bzw. nur verbal verteidigt. Pfefferspray, wie auf dem Weg zum erwähnten Ball des Wiener Korporationsringes gegen Demonstrierende eingesetzt, dürfte in jedem Fall, auch zum Schutz des begleitenden „Damenflors“, nicht als kommentgemäß und satisfaktionsfähig gelten, auch nicht unter der Lebensgefahr des Beschimpftwerdens. Dennoch hätte man mit einigem guten Willen als mannhafter Ballbesucher 2012 auch außerhalb der Festräume ein wenig der „alten Burschenherrlichlichkeit“ verspüren können, zwischen Polizeikordons vor dem „linken Mob“ und dem Rest der Welt geschützt, quasi auf dem „breiten Stein“ zum Fest schreitend und sich „dem Herrn der Erde gleich“[iv]wähnend. Das Gegenteil war der Fall. Wie es der Bundesobmann und Klubobmann der FPÖ während des Balls im Beisein von Journalisten auf den Punkt brachte, fühlten sich die rechten Recken und ihr Damenflor bedroht und verfolgt wie „in der Reichskristallnacht“ und als „die neuen Juden“.[v]Am Abend des internationalen Holocaust-Gedenkens. Österreich reagierte mit breitester Kritik, in Abstufungen von mildem und scharfem Tadel bis zu Empörung und Rücktrittsforderungen. Die Ehre Österreichs war in internationaler Sichtweise verteidigt und nach einigen Tagen konnte wieder zum politischen Tagewerk übergegangen werden. Dringlich deswegen, weil Österreichs Ruf nicht nur durch die trotzig geschmacklose Abhaltung des rechtsrechten Balles beschädigt wurde, sondern zeitgleich der Gefahr eines weiteren, diesmal ökonomischen Renommeverlustes mit der Ausarbeitung eines straffen Budgetsparplanes Einhalt geboten werden musste. Die breite mediale Aufmerksamkeit für enger zu schnallende Gürtel lief allerdings der von den Freiheitlichen mit Hilfe des WKR-Balles

eingeleiteten Thematisierung ihrer neuen Opferrolle zuwider. Eine Belebung erfolgte dieser Tage durch den (national)freiheitlichen Abgeordneten zum Europaparlament und zum österreichischen Nationalrat, „alter Herr“ der schlagenden Burschenschaft „Vandalia“ und bekannter „Umvolker“[vi], Andreas Mölzer. Nachdem der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer die anstehende Verleihung des Großen Silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich an FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache wegen dessen unwiderrufenen und nicht entschuldigten Äußerungen sistiert hatte, fühlte sich jetzt Mölzer bemüßigt, dieselbe Ehrung aus der Hand des Bundespräsidenten beleidigt und medial aufbereitet im Voraus abzulehnen. Trommelwirbel, Schlägergedonner auf Biertische, welch edler, charakterfester Ritter. Es ist allerdings nicht bekannt, ob Herr Bundespräsident wegen der Ereignisse um den WKR-Ball im Sinne des Ansehens Österreichs nicht eventuell auch die Sistierung der Ehrung für Mölzer ins Auge gefasst hätte.

Deutschtümelei

Die Entstehung des deutschen Nationalismus und der deutschnationalen Burschenschaften, sowie deren bis heute gepflegte Tradition, sich als Träger des Liberalismus im deutschsprachigen Raum nach dem Wiener Kongress, im Vormärz und den bürgerlichen Revolutionen von 1830 und 1848 darzustellen, ist ohne den Aspekt des Deutschen Bundes zwischen 1815 und 1866 und seiner europäischen Dimensionen schwer nachvollziehbar. Der Deutsche Bund umfasste größere und kleinere überwiegend deutschsprachige Königreiche sowie den deutschsprachigen Teil des Habsburgischen Kaiserreiches. Prinzipiell ging es darum, den Mitgliedstaaten nach Forderung der revolutionär gesinnten Bürger Verfassungen zu geben, zunächst eine gesamtdeutsche – was an der Weigerung des preußischen Königs, die ihm angebotene Kaiserwürde anzunehmen, scheiterte – oder Einzelverfassungen. National gesinnte Deutsche träumten von einem gesamtdeutschen Nationalstaat. Kleinere Königreiche preschten mit Verfassungen vor, während sich die großen Staaten, das Königreich Preußen und Österreich, vehement gegen Verfassungen sträubten. Preußen nicht ohne entsprechende Einflussnahme des österreichischen Staatskanzlers Metternich. Metternich benutzte die liberale Bewegung und die Burschenschaften zur Argumentation, eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung sei gegeben. Das Wartburgfest vom 18. Oktober 1817 diente als Nachweis dieser Behauptung. Die Einzelstaaten und der Deutsche Bund gingen mit Polizei und Spitzeln vor allem gegen die Burschenschaften vor. Das Bemühen der österreichischen Politik um einen restaurativen Umbau des Bundes machte in Zusammenarbeit mit der Berliner Hofpartei auf dem Aachener Kongress von 1818 Fortschritte. Die Ermordung des Schriftstellers August von Kotzebue durch den Studenten Karl Ludwig Sand im März 1819 bot den um Restauration bemühten Obrigkeiten der Staatsapparate die Möglichkeit zum Frontalangriff auf die Reformer. Die Revolution scheiterte endgültig 1849, in der folgenden Reaktionsära wurde versucht, den Deutschen Bund in seiner vorrevolutionären Gestalt zu restaurieren, oppositionelle Bewegungen wurden massiv obrigkeitsstaatlich unterdrückt. Aufgrund der politischen Gegensätze zwischen Österreich und Preußen hinsichtlich Schleswig-Holsteins und als Folge des Deutschen Krieges von 1866 wurde der Deutsche Bund aufgelöst. Die Idee eines „alldeutschen“ Nationalstaates blieb jedoch seither in den Hirnen der Deutschnationalen bis heute erhalten, Vorstellungen über dessen territoriale Ausbreitung – in annähernder Deckungsgleichheit mit den Ländern des damaligen Deutschen Bundes – ebenfalls. Fündig wird man dazu im konservierten „deutschen Liedgut“ und in den Positionspapieren der deutschnationalen Burschenschaften zu Ostpreußen, Schlesien, Pommern, dem Sudetenland, Südtirol, dem Elsass etc., in denen der Verlust dieser Gebiete an fremde Mächte bis heute larmoyant wie nachhaltig beklagt wird.

„Europa der Vaterländer“

Entsprechend ambivalent ist das heutige Verhältnis zur Europäischen Union. Einerseits werden die unkontrollierte Reisefreiheit in ehemals „volksdeutsche“ Landstriche und die ungehinderten, raschen Kontaktmöglichkeiten zu europäischen Rechtspopulisten und Rechtsradikalen geschätzt und weidlich genützt, andererseits strebt man deutlich ein anderes Europa, eines der „Vaterländer“ an, in dem die „deutsche Sprach- und Kulturgemeinschaft“ (inklusive ihres österreichischen Teils) schon allein kraft Masse, nicht etwa aus biologischer Überlegenheit, eine natürliche Vorrangstellung einnehmen würde. Einerseits schätzt man, dass man ausgerechnet eine Galionsfigur der nationalfreiheitlich-rechten Recken (Andreas Mölzer) als Abgeordneten ins EU-Parlament bringen konnte, wo er nach Art eines einsamen Wolfes die vaterländische Umformung Europas vertreten soll und möchte. Andererseits ist gerade die EU – noch vor allen Linken und Juden – modernes Feindbild Nummer eins, weil Gegenmodell zum Nationalismus, besonders dann, sollte sie sich weiter in Richtung eines europäischen Bundesstaates mit noch mehr Durchgriffsrechten auf nationale Belange entwickeln, wofür das Modell USA wegen der heterogenen Beschaffenheit Europas zwar nicht verwirklicht werden kann, aber den Rechten allemal als herbei geredete Horrorvision dient. Stichwort „Ostküste“. Für die im Verständnis großer ökonomischer Zusammenhänge meist schwach belichtete Masse der „Kleinen und Fleißigen“, die die FPÖ sozial-heimatlich an Biertischen und in Diskos als Hauptfangruppe rekrutieren kann, reicht die Darstellung, dass allein der Verlust des lieben Schillings Österreich an einem ungebremsten  wirtschaftlichen Aufstieg hindert und bei einer Rückkehr zur nationalen Währung nur noch Milch und Honig flössen, die Arbeitslosenrate auf Null sänke, weil alle Ausländer ihre elitären Arbeitsplätze am Bau, bei der Kanalisation, in der Reinigung und in der Kranken- und Altenpflege echten Österreichern und Österreicherinnen überlassen müssten. Griechenland wäre auch kein Thema mehr, denn wir bezahlen und erhalten „wen wir wollen“.

Vorboten des Völkisch-Deutschen

Ein grundsätzliches Paradoxon in der Ideologie der deutschnationalen Burschenschaften ist darin zu sehen, dass sie sich hinsichtlich ihrer Traditionen und Wurzeln einerseits auf die liberal-freiheitlich-revolutionären Ansätze aus der Aufklärung und der Französischen Revolution berufen, andererseits den rassisch motivierten, politischen Antisemitismus schon Ende des 19. Jahrhunderts sublimiert haben. Insgesamt kann der Antisemitismus nämlich als Protestbewegung gegen die Ideen der modernen Aufklärung, der Französischen Revolution, der allgemeinen Menschenrechte und der Freiheit des Individuums gesehen werden. Im traditionellen, religiös und ökonomisch motivierten Antijudaismus waren jene im Judenhass gipfelnden Vorurteile gesetzt, die das Judentum seit dem Mittelalter mit dem Geldwesen verbanden. Den im Christentum verpönten Geldhandel überließ man den in Ghettos verbannten Juden. Für das aufstrebende, städtische Wirtschaftsbürgertum stellten die Juden lästige Konkurrenten dar, insbesondere hinsichtlich des interkontinentalen Fernhandels. Aus dem Geldwesen entwickelte sich die Moderne mit Kapitalverwertung, Warenaustausch und Arbeitsteilung. Der mit der Ausdehnung der Geldverhältnisse verbundene, soziale Wandel wurde von den Traditionalisten in der Bevölkerung als Bedrohung empfunden und den herkömmlichen Vertretern des Geldwesens, den Juden, überantwortet. Um dem religiös motivierten Antijudaismus zu entkommen, bot sich die Alternative der christlichen Taufe an. Die weitere Entwicklung des Judenhasses hielt solche Alternativen nicht mehr bereit. Im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise 1873 keimte nach 1870 im Ursprungsland Deutschland der politische und rassisch motivierte Antisemitismus auf, dessen Begriff der Antisemit Wilhelm Marr erstmals geprägt hatte. Dieser rassische Antisemitismus verband sich im ausgehenden 19. Jahrhundert mit historisch-geisteswissenschaftlichen und biologisch-naturwissenschaftlichen Rassentheorien, hob die vermeintlich genetischen Eigenarten von Juden und Jüdinnen in Form eines Rassenmythos auf Basis des Blutes hervor und breitete sich rasch aus. Auf besonders fruchtbaren Boden fiel er im antijudaistisch gut aufbereiten Wien des Bürgermeisters Karl Lueger und wurde dort von Ritter von Schönerer zur Vollblüte gebracht. Ab 1881 bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in den meisten deutschnationalen Burschenschaften sukzessive der so genannte „Arierparagraph“ eingeführt[vii], der zunächst von der Aufnahme von jüdischen „Fuxen“ abriet und später sogar renommierte jüdische Mitglieder zum Austritt zwang.

Die dem heurigen WKR-Ball in Wien folgende Verteidigung der schlagenden Burschenschaften durch FPÖ-Vertreter in einer Fernsehdiskussion enthielt unter anderem auch den wiederholten Hinweis[viii], auch der Begründer des politischen Zionismus, Theodor Herzl, sei Mitglied einer akademischen Burschenschaft[ix]gewesen. Ein argumentativer Schuss ins eigene Knie: In Konsequenz antisemitischer Äußerungen auf dem Trauerkommers im Gedenken an Richard Wagner im März 1883 legte Herzl sein Band nieder und trat aus der Burschenschaft aus.

Vermeintliche Opferrolle in der NS-Zeit

Ein heldisches, für Ehre, Freiheit und Vaterland stets kämpfendes Selbstbild erfordert schlüssig einen zunächst möglichst überlegenen Gegner oder Feind, dem gegenüber man sich als tapferer Held einer verfolgten Minderheit beweisen kann. Der historisch bekannteste Kampfvergleich „David gegen Goliath“ wird von deutschnationalen Burschenschaften aus nachvollziehbaren Gründen wohl nie in Stellung gebracht werden, aber der Kampf der Urburschenschaften gegen die Unterdrückung durch die Staatsmächte des Deutschen Bundes eignet sich vorzüglich, eine von Anfang an gegebene und weiter tradierte Opferrolle zu bedienen. In diesem Sinne gut, dass die Revolution von 1948 nicht obsiegte und der heldenhafte Kampf bis in heutige Zeit konserviert werden konnte. Manche deutschnationalen Burschenschafter versuchen heute, ihren „traditionell“ gesinnungsmäßigen Abstand zur NS-Ideologie mit dem Argument unter Beweis zu stellen, dass die schlagenden Burschenschaften in der Hitlerzeit „verboten und verfolgt“ wurden, also eigentlich als „Hitler-Gegner“ anzusehen wären. Dabei handelt es sich, freundlich formuliert, um eine Halbwahrheit. Die Zwangsauflösung der Verbindungen zwischen 1934 und 1936 im Zuge der Gleichschaltungspolitik des NS-Regimes unterbrach zwar die Tradition, doch wurden alle Studentenverbindungen  in den „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) übergeführt. Die Veränderungen für die Studentenverbindungen  im „Dritten Reich“ erleichterten zunächst das Fechten. Der NSDStB setzte sich für die Straffreiheit der studentischen Bestimmungsmensur ein. Das Reichsgericht sah in ständiger Rechtsprechung in der Mensur einen strafbaren „Zweikampf mit tödlichen Waffen“. Die Mensur wurde aber am 26. Mai 1933 durch die Änderung des § 210a StGB straffrei gestellt. Das von den Nationalsozialisten geforderte Engagement für NS-Schulungen und Wehrsport ließ zwar kaum Zeit für weitere private Aktivitäten, vom studentischen Fechten wurde aber nicht abgerückt. Die NS- Kameradschaften übten zwar teilweise das Säbelfechten als eine Art von Wehrsport, fochten aber offiziell keine scharfen Mensuren. Die 1937 erlassene Ehrenordnung des deutschen Studententums des NSDStB von 1937 sah die unbedingte Satisfaktion auf leichtem Säbel vor, allerdings musste ab 1938 jeder Zweikampf vom Reichsstudentenführer genehmigt werden. Als die NS-Behörden die Universitäten ab etwa 1941 wegen des Krieges etwas weniger beobachteten, versuchten sich einige Verbindungen heimlich innerhalb der offiziellen NS-Kameradschaften wieder zu gründen und fochten unter ständiger Gefahr der Strafverfolgung heimlich auch scharfe Mensuren. In Leipzig wurde das schlagende Corps Misnia IV neu gegründet. Die letzten Kriegsmonate beendeten auch diese Aktivitäten.[x] Es sind Fälle „ostmärkischer“ Studenten bekannt, die mit Schmissen aus etlichen scharfen, bereits unter NS-Regime (!) gefochten Mensuren auf eigenen Antrag in der Waffen-SS Aufnahme fanden und dort auf Karrieren bis zum Untersturmführer verweisen konnten. Dies geschah vielleicht – wie bei vielen – aus Opportunismus hinsichtlich der eigenen Lebensplanung, vielleicht auch mit geheimer Verachtung für den „größten Gefreiten aller Zeiten“[xi]. Sie als Angehörige einer verfolgten Minderheit und „Hitler-Gegner“ zu bezeichnen, wäre dennoch ein verwegener Ansatz.

Erfolgreich tradierte Feindbilder

Mit der politischen Zuwendung zu den Deutschnationalen unter den Ägiden der konstitutionellen Monarchie des Deutschen Kaiserreiches ab 1871 und der mit der Dezemberverfassung von 1867 ausgestatteten Habsburgermonarchie, sowie besonders mit der Aufnahme des rassisch motivierten, politischen Antizionismus der Deutschnationalen erfolgte auch eine Umdeutung des Freiheitsbegriffes und eine Abwendung vom ursprünglich revolutionär sinnstiftenden Liberalismus. Die Liberalen waren nicht antisemitisch. Im Gegenteil, mit Emanzipation und Assimilation des Judentums wurde der Liberalismus dessen politische Heimat. Bald wurden das liberale Bürgertum, die liberale Presse usw. zu pejorativen Begriffen der Antisemiten,

der Liberalismus zum Feindbild der Deutschnationalen, somit auch der schlagenden Burschenschaften. Ein weiteres Feindbild bot sich den nationalen Kräften der politischen Rechten logischerweise auf der Linken, im Sozialismus und Kommunismus mit seiner internationalen Ideologie. Darüber hinaus konnte sich das elitäre Denken der schlagenden Studentenschaft, die das edle, deutsche Rittertum in ihren Reihen tradierte, wohl nie mit dem nicht satisfaktionsfähigen, „ungebildeten Pöbel“, der Arbeiterschaft auf eine Ebene begeben. Sowohl antisemitische wie auch antikommunistische Textversionen sind im „deutschnationalen Liedgut“ nachhaltig bis heute zumindest mündlich tradiert, wobei rein formal das Absingen solcher Textstellen auch zu vorgerückter Stunde und im „Inoffizium“ unerwünscht ist, unterbunden und mit einer „Stärkung“ geahndet wird.[xii]

Vorgestriges sitzt auch im Heute

Unter diesen historischen Vorgaben und auch im Lichte der etwas jüngeren regelmäßigen Auseinandersetzungen zwischen der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde und der FPÖ – der frühere Bundesobmann Jörg Haider scheute nicht einmal vor Ehrenbeleidigungen gegenüber deren Präsidenten Muzikant zurück[xiii]– konnte den rechten Recken zur Selbstdarstellung in der Opferrolle nichts Besseres passieren, als beide historischen Feindbilder in den Protestaktionen gegen die Veranstaltung ihres auch von der Elite des europäischen Rechtsextremismus und Leihgaben der deutschen Neonazi-Szene besuchten WKR-Balles in den historischen Repräsentationsräumen der Wiener Hofburg am Abend des Internationalen Holocaust-Gedenktages vereint zu sehen. Statt seine unerträglichen Äußerungen entschuldigend zurück zu nehmen, fand sich FPÖ-Parteiobmann Strache ebenfalls als „bespitzeltes“ Opfer journalistischer Willkür und völliger Verdrehung von „aus dem Zusammenhang gerissen“ Zitaten. Wie schon so oft. Eine der offiziellen Veranstalterinnen der Protestkundgebung, die Österreichische HochschülerInnenschaft, verurteilte seine Aussagen in einer Presseaussendung aufs Schärfste: „Die BallbesucherInnen als „die neuen Juden“ zu bezeichnen und die Angriffe auf Burschenschafterbuden mit der Reichskristallnacht zu vergleichen ist geschmacklos und zeugt vom verfälschten Geschichtsverständnis innerhalb der FPÖ“, so das ÖH Vorsitzteam geschlossen. „Strache verhöhnt die Millionen Opfer des Holocaust sogar am internationalen Gedenktag auf widerwärtigste Art und Weise. Wer solche Aussagen tätigt ist in einer Demokratie unwählbar.“ Dagegen brachte einer der Ballbesucher, der FPÖ-Kärnten Obmann Christian Leyroutz, die Verteidigungsstrategie der Freiheitlichen ebenfalls in einer Presseaussendung auf den Punkt und auf historische Ebenen: „[…] Es habe sich da eine eigenartige Allianz gebildet, wenn sich im Umfeld von kreativen Veranstaltungen wie „Burschi-Safari“ und anderen, bei denen Gewalt gegen Andersdenkende kalkuliert ist,

diverse SPÖ-Organisationen, Sportdachverbände(!), israelische [sic!] Kultusgemeine [sic!], evangelische Kirche und ein ehemaliger Beschützer der Grundrechte zusammenschließen, um gegen andere Meinungen vorzugehen. […] Jedenfalls wurde im Vorfeld von Muzicant und vielen anderen derart viel Hass gegen andersdenkende Mitmenschen gesät, dass die Ernte Gewalt als gewiss absehbar war. „Insoweit kann man Muzicant und Pollak getrost als Ziehväter linker Gewalt bezeichnen“, so Leyroutz abschließend.“

Der „linke Mob“ und die Juden – sie wagten, gegen die auf dem Ball versammelte Elite der „Leistungsträger“ aufzutreten. Da konnte auch das Bedienen alter Verschwörungstheorien nicht ausbleiben. Die Paranoia der „Andersdenkenden“ gipfelte in einem Flugblatt der (vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes – DÖW – als rechtsradikal eingestuften) Wiener Akademischen Burschenschaft Teutonia zum Anlass. Da der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzikant, eine Einladung des Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf in dessen Loge am WKR-Ball teilzunehmen aus nachvollziehbaren Gründen ausgeschlagen hatte, wurden mit diesem Pamphlet gleich in einem Schlag das DÖW als „kommunistische Tarnorganisation und Privat-Stasi“, Muzikant als Gegner der „Österreicher, die stolz auf ihre Heimat sind“ und als „Freimaurer“ und die Stadt Wien als seine Befehlsempfängerin, die „nach seiner Pfeife tanzt“ verunglimpft. Das historisch tradierte Gesamtpaket der Rechtsradikalen, konzentriert auf einem A4-Blatt.


Je kleiner, je rechter?

Das zutiefst menschliche Bedürfnis, auf einer beliebigen Bedeutungsskala den Mangel an Größe oder Masse durch Großtuerei, besonderen Fleiß oder besondere Radikalität zu kompensieren, zeigte sich nicht nur im „Dritten Reich“ am Verhalten der „Ostmärker“ im Vergleich zu den Deutschen aus dem „Altreich“ – immerhin war ja dort Hitler selbst ein Importartikel aus Österreich – sondern ist offenbar sogar heute noch feststellbar. Wenigstens was die Dachorganisationen der deutschnationalen Burschenschaften betrifft. Auch „alldeutsch“ ist differenzierbar. Die österreichischen akademischen Burschenschaften sind heute im Dachverband Deutscher Burschenschaften zusammengefasst. Das war nicht immer so. 1952 wurde die Deutsche Burschenschaft in Österreich (DBÖ) als Dachverband gegründet, orientierte sich ideologisch an ihrem Vorgänger, der Burschenschaft der Ostmark (BdO), und strebte nach der Fusion mit der Deutschen Burschenschaft (DB). Ein entsprechender Antrag scheiterte 1961, weil die Mehrheit der DB damals noch für den Vaterlandsbegriff die Staatszugehörigkeit und nicht die staatsübergreifende Zugehörigkeit zur „deutschen Kulturnation“ als ausschlaggebend für eine Mitgliedschaft ansah. Daraufhin gründeten die rechtsextremen Burschenschaften der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und Österreichs die Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG), die auf Revision des Beschlusses von 1961 hinarbeitete. Die „deutschen Kulturnationalisten“ konnten sich schließlich 1971 durchsetzen. Die österreichischen Burschenschaften wurden in die Deutsche Burschenschaft DB aufgenommen. Die BG arbeitet jedoch im Dachverband DB, der etwa 120 Mitgliedsorganisationen umfasst, als Fraktion weiter. Obwohl die BG nur etwa 40 Mitgliedsorganisationen in der DB stellt, ist ihr Einfluss überproportional stark. Und in der BG sind wiederum die österreichischen Burschenschaften überproportional vertreten. Österreichische Bünde wie Olympia, Silesia, Libertas, Arminia, Brixia usw. stellen annähernd die Hälfte der Mitglieder in der BG, die den rechtsextremen Rand in der DB verkörpern.[xiv]Mittlerweile fürchtet man in der DB zuwachsenden Einfluss der rechtsextremen Bünde der BG, also auch der österreichischen. Seit den 90-er Jahren verlassen immer mehr gemäßigte Burschenschaften die DB, damals waren es sieben Bünde, die wegen der deutsch-völkischen Positionen – vor allem der österreichischen Bünde, als deren Wortführer die Olympia auftrat – im Streit austraten und die Neue Deutsche Burschenschaft (NDB) gründeten. Zum bzw. nach dem letzten Verbandstag 2011 traten wiederum sieben Burschenschaften im jüngsten Streit um den „Arierparagraphen“ aus der DB aus, was die Position der BG weiter stärkt. Die BG ist weiters federführend in der Ausarbeitung eines 2010 begonnenen Strategieprogramms, wobei vier der acht Arbeitskreise von österreichischen Burschenschaften geleitet werden. Man darf gespannt sein, inwieweit dann Bestemm und Paranoia der rechtsrechten Recken mit den österreichischen Ereignissen um den WKR-Ball und der neuen „Opferrolle“ angefüttert werden. In moderner Adaptierung des „Arierparagraphen“ empfehlen sich dann vielleicht einmal Gentests vor der endgültigen Aufnahme in eine deutschnationale Burschenschaft. Ausreichend Blut fließt ja auf den Paukböden.

Feindbild Multikulturalismus

Die Freiheitlichen in Österreich bzw. die FPÖ und die deutschnationalen Burschenschaften einen viele gemeinsame Grundsätze, einer davon ist das Feindbild Multikulturalismus, was aus dem gemeinsamen nationalen Element erklärbar ist. Aus historischer Sicht ist die FPÖ mit ihrer wesentlich jüngeren Geschichte dabei eindeutig der Nachahmer. Latente oder immanente Elemente des Antisemitismus waren oder sind bei beiden mehr oder weniger offen feststellbar. Die FPÖ versuchte zwar durch Einbindung bisher zweier jüdischer Funktionäre oder Mandatare[xv], die quasi als „Schaujuden“ dien(t)en, sich einen „Persilschein“ hinsichtlich Antisemitismus auszustellen, von deutschnationalen Burschenschaften wie Olympia, Silesia und anderen sind solche Aktionen eher nicht zu erwarten. In den außenpolitischen Positionen führt die festgelegte Ideologie zu manchen Paradoxa. Da Israel der jüdische Staat schlechthin ist und darüber hinaus von den USA unterstützt wird (Kapitalismus, Imperialismus, „Ostküste!“ – das alles bedient den Antiamerikanismus einer „sozialen Heimatpartei“ vorzüglich) stellt man sich natürlich wehrhaft auf die arabisch-palästinensische Seite und pflegt gute Kontakte zu Staaten, die Israel feindlich gesinnt sind. Der deutschnationale Burschenschafter und EU-Mandatar Andreas Mölzer ist in einer österreichisch-arabischen Freundschaftsgesellschaft aktiv und hatte schon 2006 angekündigt, vor seinem Fenster die palästinensische Flagge zu hissen um gegen die „Unterdrückung durch Israel“ zu protestieren. FPÖ-Politiker reisten und reisen in arabische Länder, vorrangig nach Libyen, aber auch in den Iran, vornehmlich zu den Holocaustleugner-Konferenzen. Die Palästina-Solidarität der Deutschnationalen hat ihren geschichtlichen Sitz schon in den Dreißiger-Jahren des 20. Jahrhunderts, als der Judenhasser, arabische Nationalist und Mufti von Jerusalem, al-Husseini, innige Kontakte zu den Nationalsozialisten sowie zu Hitler persönlich unterhielt und Rat zum „effizienten“ Umgang mit den Juden einholte. Auch die deutsch-iranische Freundschaft hat eine lange Tradition, wie Matthias Küntzel nachgewiesen hat[xvi]. Noch zur Nazizeit war Deutschland der wichtigste Handelspartner des Iran. „ […] Auch ideologisch zeigen die Beziehungen eine erschreckende Kontinuität. Im ersten Weltkrieg entdecken die Deutschen den Islam als Waffe gegen die rivalisierenden Europäischen Mächte. Deutsche Propaganda ruft die Muslime zum Jihad gegen die ‚ungläubigen‘ Imperien Russland und Grossbritannien. Wie Küntzel schreibt, steckt dahinter nicht nur politisches Kalkül: Man idealisierte die als ‚unverfälscht‘ wahrgenommene vormoderne Welt und hoffte, in ihr einen Verbündeten gegen den Westen gefunden zu haben.“[xvii]Für die Nazis galten die Iraner/Perser als Arier.

Die Solidarität der Deutschnationalen und Rechtspopulisten mit Palästinensern und Arabern, die nun einmal zugleich meist auch Muslime sind, endet jedoch dort, wo man Multikulturalismus absolut nicht haben will, nämlich in der Heimat als Teil des bedrohten christlichen Abendlandes. Die Muslime im Nahen und Mittleren Osten können sich dieser Solidarität nur erfreuen, so lange sie dort bleiben. Im Sinne der multikulturellen Bedrohung sind jedoch die Juden in Österreich eine Quantité negliable. Aber die Muslime, der Islam an sich und die Islamisten! Im Dezember 2010 reisten die Rechtspopulisten Heinz Christian Strache (FPÖ), Filip Dewinter(Vlaams Belang) und René Stadtkewitz (vormals CDU, jetzt „Die Freiheit“) in Begleitung vom EU-Abgeordneten Andreas Mölzer und Kent Ekeroth (Schwedendemokraten) nach Israel. Dort nahmen sie Kontakte mit dem Likud und Vertretern der Siedlerbewegung auf, die Besuche wurden erwidert. Diese im Grunde wohl nur als scheinbar zu wertende Umorientierung der Deutschnationalen und Rechtspopulisten hat mindestens zwei Motive: einerseits möchte man an außenpolitischer Glaubwürdigkeit zulegen, was auf diesem Wege nicht ganz gelingen mag, andererseits mag das islamfeindliche europäische Netzwerk in Israel doch ein Bollwerk gegen die schleichende Islamisierung Europas sehen, da werden antisemitische Vorurteile hintangestellt.

Die Zukunft wird zeigen, welche ideologischen Schwenks die Rechtspopulisten, National-Freiheitlichen und Deutschnationalen noch vollbringen werden, um in Österreich an die Schüsseln der Macht oder wenigstens wieder zum Tanzen in die Hofburg zu gelangen.


[ii]So geschehen nach dem Ball des Wiener Korporationsringes am Internationalen Holocaust-Gedenktag, am 27. Jänner 2012 in Wien. Niedergeschlagen wurde der frühere Abgeordnete des Bundesrates Albrecht Konecny. Vergl. zahlreiche Medienberichte.

[iii]Zeile aus dem Studentenlied „O alte Burschenherrlichkeit“. Um 1830 war das Verhalten von zwei aufeinander treffenden Burschen ein in vielen Comments erörtertes Problem. Der „Breite Stein“ wurde der schmale Steinbelag auf der Mitte noch ungepflasterter Straßen genannt, der diese bei schlechtem Wetter noch einigermaßen passierbar machte. Insbesondere in Halle/Deutschland wurde das von „Burschen“ in Anspruch genommene Vorrecht respektiert, auf dem breiten Stein zu gehen – während „Füchse“ und (nicht satisfaktionsfähige) Normalbürger in den Morast ausweichen mussten.

[iv]Eine Folgezeile aus o. g. Lied.

[v]Der Standard, 30.01.2012

[viii]http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/621050/Laecherliche-Aufregung-um-BurschenschafterKappeFPÖ-Stadtrat David Lasar verteidigte damit Heinz-Christian Strache, der bei einem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel statt mit der üblichen Kippa mit seiner Burschenschafter-Kappe aufgetreten war.

[ix]Wiener Akademische Burschenschaft Albia.

[xi]Geheime Spottbezeichnung kritischer, langjähriger und im WK1 hoch dekorierter Berufsoffiziere, die, vom NS-Regime übernommen, in der Deutschen Wehrmacht dienen mussten, für Hitler.

[xii]Zur Melodie „Ein Heller und ein Batzen, die waren beide mein…“ ist u. a. eine Version bekannt, in der die Zeilen „…zwei Leichen auf den Tisch, die eine muss ein Jude sein, die and’re Kommunist“ vorkommen. Weiters findet sich im „Borkum Lied“ die Textstelle: „Es herrscht im grünen Inselland ein echter deutscher Sinn, drum alle, die uns stammverwandt zieh´n freudig zu dir hin. An Borkums Strand nur Deutschtum gilt, nur deutsch ist das Panier. Wir halten rein den Ehrenschild Germanias für und für. Doch wer dir naht mit platten Füßen mit Nasen krumm und Haaren kraus, der soll nicht deinen Strand genießen, der muß hinaus! der muß hinaus! hinaus!“.

[xiii]Bei einer FPÖ-Veranstaltung am 28. Februar 2001 sagte Haider in seiner „Aschermittwochrede“ unter anderem: „Der Herr Ariel Muzicant: Ich verstehe überhaupt nicht, wie wenn einer Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann; das versteh‘ ich überhaupt nicht; aber – ich meine – das ist eine andere Sache.“ (http://www.news.at/articles/0120/10/14466/dreck-stecken-maulkorb-haider)

[xv]Peter Sichrovsky, 1996-2004 EU-Abgeordneter der FPÖ, 2000-2002 Generalsekretär der FPÖ, Austritt aus der FPÖ 2003. David Lasar, seit November 2005 Wiener Gemeinderats- und Landtagsabgeordneter der FPÖ, u. a. bekannt geworden durch seinen Besuch beim Gaddafi-Sohn Saif al-Islam im Juli 2011.

[xvi]Matthias Küntzel, Die Deutschen und der Iran. wsj-Verlag, 2010.

Rechts, rechter, am rechtesten?

  • 0

Hinterlasse eine Antwort

Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.