Frankfurt in Teheran

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„Keine Teilnahme an der Teheraner Buchmesse!“ Unter dieser Überschrift wandte sich im März 2006 die „Deutsch-Israelische Gesellschaft – Arbeitsgemeinschaft Berlin“ an den Direktor der Frankfurter Buchmesse, Jürgen Boos. „Eine intellektuelle und politische Aufwertung des iranischen Regimes durch die Präsenz der Frankfurter Buchmesse würde u.E. dem überwältigenden und eindeutigen Mehrheitswillen aller deutschen Demokraten widersprechen“, heißt es in dem Schreiben, das der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jochen Feilcke unterschrieb.

Jürgen Boos lehnte dieses Anliegen damals und bis heute ab: Es sei Teil seines Auftrags, „Diskurs und Dialog zu fördern und durch den Zugang zu Literatur kritisches und auch politisches Denken zu fördern.“ Man betrachte „es daher als Auftrag und Pflicht, an der Buchmesse in Teheran teilzunehmen.“

„Zensurmesse in Teheran“ träfe den Sachverhalt allerdings genauer.

So entfernten die Verantwortlichen der Teheraner Buchmesse 2010 nicht nur alle Bücher der Großayatollahs Montazeri, Beheshti und Mohsen Parviz aus den Regalen. Die Säuberungsaktion nahm darüber hinaus ganze Buchsegmente aufs Korn: Bücher über die Bahai, Bücher über den Holocaust, Bücher, die den Iran kritisieren, Bücher über die wahabitische Glaubensrichtung oder den Buddhismus und weitere mehr.

Dafür gab es antisemitische Literatur zuhauf. Das „Aladdin-Projekt“ der UNESCO listet in ihrem Bericht über diese Messe mehr als 160 Werke auf, die den Judenhass nicht subtil, sondern offen propagieren. Drei verschiedene Ausgaben der „Protokolle der Weisen von Zion“ waren mit dabei. Man muss sich diese Bücherliste vor Augen führen, um zu erkennen, in welche Umgebung sich Frankfurt hier begibt. Ich greife aus der Aladdin-Liste von 2010 nur jene Titel mit ihrem jeweiligen Erscheinungsjahr heraus, die den Holocaust offenkundig leugnen:

„Eine Lüge, die man Holocaust nennt“ (2009), „Ein Interview mit Professor Faurisson“ (2006), „Der Tod eines Mythos: Präsident Ahmadinejads Ansichten über den Holocaust“ (2009), „Starben sechs Millionen?“ (2006), „Die Gaskammern: Tatsache oder Mythos?“ (2005), „Holocaust Cartoons“ (2008), „Der Holocaust – die heilige Lüge des Westens“ (2006), „Der Holocaust – die größte Lüge der Geschichte“ (2006), „Essays über den ,Holocaust‘“ (2007), „Shoah – Ein Propagandafilm“ (2006), „Der ,Holocaust‘“ (2009), „Holocaust und Islamophobie“ (2009), „Der Holocaust und die Revisionisten“ (2010), „Der Holocaust: Ein Trick zur Eroberung der Welt“ (2010), „Der Holocaust: Illusion oder Realität?“ (2009), „Der Holocaust: Ein anderer Blick auf den jüdischen Genozid“ (2008), „Holocaust: Der Blick hinter den Vorhang“ (2006), „Der Holocaust: Mythos oder Realität?“ (2007), „Die Mythenerfinder des Holocaust“ (2007), „Wie die Juden vom sogenannten Holocaust profitieren“ (2006).

(Die Gesamtliste findet sich hier )

Bücher haben „gesund“ zu sein

2011 wurde die Zensurpolitik weiter verschärft. Den Auftakt machte Revolutionsführer Khamenei, als er Ende Juli vor einer Versammlung von Verlegern und Bibliothekaren vor „schädlichen“ Büchern warnte. Deutlicher noch äußerte sich der Minister für Kultur und Islamische Führung, Mohammed Hosseini. Bücher seien „Nahrung der Seele“, deshalb müssten sie „gesund“ sein: „Gute Bücher brauchen wir nicht zu zensieren. Doch manche Bücher … haben Probleme mit der islamischen Staatsordnung.“

In Hosseinis Ministerium werden jeweils drei Zensoren eingesetzt, um ein Manuskript zu durchkämmen. Mehdi Navid, der englische Literatur ins Persische übersetzt, weiß, wie dies geht:

Worte wie: „Zigarette“ oder „Lachen“ sind zu streichen, wenn sie einen weiblichen Protagonisten betreffen. Worte wie „fluchen“, „Tattoo“, oder „Make-Up“ sind geschlechtsübergreifend tabu. Ein Mann und eine Frau dürfen selbst im Roman erst dann „Hand-in-Hand gehen“, wenn sie verheiratet sind. Worte wie „Kuss“, „Geliebte“, „Wein“, „betrunken“, „Schwein“, „Tanz“, „Vergewaltigung“, oder „Hund“ werden fast immer durch andere Begriffe ersetzt, z.B. „Wein“ durch „Saft“. (Saeed Kamali Dehghan, Tehran International Book Fair launches crackdown on ,harmful‘ titles, in: The Guardian, 2 May 2012.)

Der Leiter der Presseabteilung des Kulturministeriums erklärt diese Praxis so: „Man sagt, die Bürger haben ein Recht auf Information. Aber manchmal haben die Bürger auch ein Recht darauf, nicht informiert zu werden.“ (Iran-Report 11/2011, S. 7)

Ein Vierteljahrhundert Kultur-Dschihad

Diesem ganz speziellen „Bürgerrecht“, „nicht informiert zu werden“, wurde man im Mai 2012 auf der diesjährigen Teheraner Buchmesse besonders gerecht. Sie stand unter dem Motto: „Ein Vierteljahrhundert Kultur-Dschihad“ Als einziges EU-Land war Deutschland mit dabei.

„Diese Buchmesse“, heißt es in einer mutigen Erklärung des Iranischer Schriftstellerverbandes vom 8. Mai 2012, habe „keine andere Funktion, als die freie Meinungsäußerung zu verhindern und die Zensur von Büchern aufrechtzuerhalten.“

So wurden in 2012 nicht nur halbwegs kritische Verlage wie „Agah“, Bastab Negar“, „Digar“, „Kawir“ oder „Nika“ von der Messeteilnahme ausgeschlossen, sondern auch Mainstream-Verlage wie „Nashre Agah“ und „Nahsre Cheshmeh“, da letzterer, wie es hieß, Gesetze gebrochen habe. Worin der Gesetzesbruch bestand? Der Verlag, der Autoren wie Toni Morrison und Mario Vargas Llosa verlegt, habe der Zensurbehörde Manuskripte zur Erteilung einer Druckerlaubnis eingereicht, „die aus Sicht der Behörde nicht nur hätten abgelehnt werden müssen. Schon der Antrag für solche Manuskripte sei nicht zulässig gewesen“, zitiert Bahman Nirumand aus entsprechenden Akten. (B. Nirumand, Teilnahmerecht für alle Verlage an der Buchmesse gefordert, in: Iran-Report 6 /12, S. 5.)

Die Verantwortlichen der Frankfurter Buchmesse scheint das nicht weiter zu tangieren. Unverdrossen setzen sie ihren „Diskurs und Dialog“ mit „Kultur-Dschihadisten“ fort. Bei der kommenden Buchmesse in Frankfurt wird der frühere Vizeminister des „Ministeriums für Kultur und Islamische Führung“ die iranische Delegation leiten. Für die Teheraner Buchmesse 2013 schließt Claudia Dobry, die Betreuerin der internationalen Auftritte der Buchmesse GmbH, eine Teilnahme nicht aus. Sie bestätigt, dass kein anderes EU-Land bislang daran teilgenommen hat: „Wir sind die einzigen“. Endgültig entschieden sei über die Teilnahme in Teheran 2013 aber noch nicht.

„Eine Beteiligung an der Teheraner Buchmesse“, schrieb der CDU-Politiker Jochen Feilcke 2006 in seinem Brief, „würde das Regime als Ermutigung ansehen; die iranische Opposition müsste sie als ,Schlag ins Gesicht‘ empfinden.“ Derzeit mehr denn je!

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Matthias Küntzel

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