Deutsche Lebenslügen. Der Antisemitismus, wieder und immer noch

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Deutsche Lebenslügen. Der Antisemitismus, wieder und immer noch

Deutsche Lebenslügen. Der Antisemitismus, wieder und immer noch. Philipp Peyman Engel mit Helmut Kuhn. Published by Hohenheim Verlag, 2024. 24.02 pp.192

The book by the new Chief Editor of the weekly newspaper Juedische Allgemeine, an official organ of the Central Council of Jews in Germany, has been written under the impact of October 7, 2023 and its traumatic aftermath when the Jewish victims were turned overnight into perpetrators, attacked by Islamic mob and its Leftist sympathizers from the top academic layers to the average citizens on the streets not just of Germany but also elsewhere. It is a very personal book by a young Jewish journalist of German and Persian descent whose mother and relatives fled after the Six-Day-War from Iran and she came to Germany where she stayed since. The hope for a safe haven has been shaken time and again by different antisemitic incidents, the Hamas massacre however, was the peak. Like most of the Jews in Germany, the author is asking himself, whether Germany is still a place where his Jewish children can grow up unharmed or whether it is time to go, to flee again. The book is a very emotional and pessimistic analysis by a deeply disappointed German-Jewish citizen by what he calls the German life-lies, missing the credibility of the German politicians who proclaim that there is no place for antisemitism in Germany on the one hand but do not act accordingly. On the contrary. This book should be read by all for whom Jewish life in Germany is of importance. In the meantime, as there are new daily scandals and affairs, a second volume could follow, describing the developments of the weeks after the publication, including the media incitement against Israel, the courts allowing pro-Arab camps on German university campuses where hate speech is open and not sanctioned, and a general atmosphere of Jew hatred threatening Jewish restaurants and shops.


Philipp Peyman Engel, geboren 1983 in Herdecke (NRW) als Sohn eines deutschen Vaters und einer persischen Jüdin, wuchs im Ruhrgebiet auf, in einem nichtjüdischen Umfeld. Er studierte Philosophie, Pädagogik, Literatur und Medienpraxis an den Universitäten Bochum und Duisburg-Essen. Seit 2023 ist er Chefredakteur der Wochenzeitung Jüdische Allgemeine, dem offiziellen Organ des Zentralrats der Juden. Im gleichen Jahr erhielt er vom „Medium Magazin“ die Auszeichnung als der Chefredakteur des Jahres. Deutsche Lebenslügen ist sein erstes Buch, erschienen 2024 und entstanden als Reaktion auf den Ausbruch des Israel- und Judenhasses in der Folge des Hamasmassakers vom 7. Oktober 2023. Der Autor fühlt sich als „deutscher Jude“. Und er sagt trotzig: „Hier ist mein Platz! Hier wurde ich geboren, hier gehöre ich hin. Und wer das nicht will, ist selbst schuld. Er, nicht ich, sollte die Koffer packen müssen. Ich werde kämpfen“ […]. Aber was er schildert, ist alles Andere als Zuversicht vermittelnd.

Bereits kurz nach Erscheinen scheint der Autor ins Wespennetz gestochen zu haben, denn aus sämtlichen Exemplaren seines Buches, die in der großen Buchhandlung Dussmann in der Berliner Friedrichstraße auslagen, wurden die ersten Seiten ausgerissen. Die Polizei leitete daraufhin Ermittlungen ein. Aber der Autor reagierte mit Humor: Das wäre sein erster Verriss… Allerdings ist das Buch alles andere als humorvoll, denn das, was sich bald nach dem ersten Schock und der Solidaritätswelle mit Israel als Opfer des schlimmsten Pogroms seit der Shoah entwickelte, als man die Täter-Opfer-Umkehr vollzog, hat Engel wie die meisten anderen Juden in Deutschland zutiefst schockiert und verunsichert.

Sein Buch ist in 10 Kapitel unterteilt, die Momentaufnahmen der jüdischen Gegenwart in Deutschland subjektiv und sehr persönlich klagend und anklagend mit den Lesern teilt. Diese Gegenwart hat sich innerhalb der letzten sieben Monate schlagartig verändert, die Atmosphäre ist feindselig geworden, die Juden werden tatsächlich bedroht und fühlen sich unsicher Es haben schon zahlreiche Juden Deutschland verlassen, tief enttäuscht, die Geschichte scheinnt sich zu wiederholen. Dieser Tage musste gerade das bekannteste und populärste israelische Restaurant Berlins seine Tore endgültig schließen Es hatte schon Naziangriffe überstanden aber da die Gäste die in der Stadt sichtbare und spürbare arabische Aggressivität fürchteten, bleiben sie aus. Der Hass hat gewonnen.

Unser Autor ist befreundet mit einem anderen bekannten ex-Berliner Juden und ebenfalls „Perser“, dem nunmehr in diesem Krieg als Reservist agierenden Sprecher der israelischen Armee Arye Sharuz Shalicar. In einem der Kapitel kommt der in dem Berliner arabisch-türkischem Bezirk Wedding aufgewachsene Autor mehrerer Bücher, vor allem aber seines Erstlings über seine Jugend als Jude unter lauter Muslimen und sein Überleben im Bandenkrieg, ausführlich (telefonisch aus Israel) zu Wort. Arye ist oft in Deutschland und konstatiert das Erstarken des radikalen Islams, des Salafismus, der Hamas- und IS-nahen Gruppen, die Juden hassen, keinen jüdischen Staat akzeptieren wollen und nunmehr immer öfter auf deutschen Straßen auch das Kalifat fordern. Er stellt fest, dass linke Studenten mit radikalen Muslimen „From the River to the Sea, Palestine must be free“ grölen, ohne zu überlegen, was es genau bedeutet. Arye schlägt ihm zum Beispiel vor, dass Juden in Deutschland Selbstverteidigung lernen und warnt davor, in manchen Bezirken allein unterwegs zu sein…

Engel, im Kontinuum der Geschichte der persischen Juden erzogen, würde gerne in den Iran fahren, um die Orte zu besuchen, aus denen seine Mutter und ihre Verwandten stammen – aus Keschan am Kaspischen Meer und Teheran, aber die Angst, als angeblicher Spion verhaftet zu werden, hält ihn davon ab. Dass die ca.10.000 Juden, die noch im Iran leben, immer wieder aber insbesondere seit dem 7.Oktober, Geiseln des israelhassenden und Hamas- sowie Hezbollah-unterstützenden Mullahregimes sind, ist bekannt. Dabei sind persische Juden mit ihrer früheren Heimat und Kultur sehr verbunden.  Sie fühlten sich hier – oder auch in den USA frei, wo Teil des Autors Verwandtschaft lebt – sicher, hatten keine Probleme mit dem Tragen der Kippa oder eines Davidsterns am Hals, man musste sein Judentum nicht verstecken. Heute müssen viele in der Öffentlichkeit bekannte Juden unter Polizeischutz leben. Einen solchen traf der Autor im Dezember 2023 bei dem vom Zentralrat der Juden organisierten Jüdischen Gemeindetag, der im Berliner Hotel Intercontinental stattfand. Er begegnete dort einem ihm wohlbekannten Rechtsanwalt, der in Begleitung von fünf Beamten des Bundeskriminalamts erschien, weil er im arabischen Fernsehen ein Interview zum Antisemitismus gegeben hat und das BKA, das konkrete Hinweise auf einen geplanten Anschlag auf seine Person erhielt, ihn sofort unter ihren Schutz nahm. Dieser ihm gewährte Schutz dauerte 6 Monate. Auch andere, z.B. ein Rabbiner, der Morddrohungen erhält, müssen ihr Leben den deutschen Personenschützern anvertrauen. Früher waren es vor allem die Neonazis, die die Juden in Deutschland bedrohten, jetzt sind es primär Muslime und ihre linken Freunde.

Während des Gemeindetages haben „postkoloniale“ Linke einen Hörsaal der Berliner Freien Universität besetzt und Plakate im Stil: „Free Palestine from German Guilt“ aufhingen. Jüdische Studenten werden attackiert, ausgebuht, bedroht. Der Autor fragt sich, ob „die guten deutschen linken Studenten“, die auf dem Campus rufend „Zionisten sind Faschisten – töten Kinder und Zivilisten“ herummarschieren, merken, dass sie die Geschichte ihrer Großeltern nachspielen. Der bekannteste Fall ist der des jüdischen Studenten der Freien Universität, Lahav Shapira, des Bruders eines bekannten Entertainers Shahak Shapira, der Anfang Februar von einem arabischen Kommilitonen krankenhausreif geprügelt wurde. Lahav Shapira wurde von dem Araber zu Boden gestoßen und mehrfach getreten. Der Student lag mehrere Monate im Krankenhaus, ihm wurden Metallplatten in den Kopf gesetzt, um die gebrochenen Gesichtsknochen zu stabilisieren. Er besucht nun die Unikurse wieder,  allerdings unter Polizeischutz.  Es werden aber nicht nur Juden bedroht, auch bekannte muslimische Islamkritiker müssen vom deutschen Staat beschützt werden.

Demonstranten besetzten in letzter Zeit auch Institutsräume der Humboldt-Universität. Deren Präsidentin versuchte, mit Gesprächsangebot die Situation zu entschärfen, der Berliner Senat jedoch ordnete eine polizeiliche Räumung an. Während die Präsidentin mit Vertretern der Protestierenden sprach, demolierten deren Kameraden die Uniräume und beschmierten die Wände mit antisemitischen Parolen. Die Präsidentin musste sich geschlagen geben und ihre späte Einsicht rettete sie vor dem Fehler, den ihre Kollegin, die Präsidentin der Technischen Universität Berlin, beging. Diese hat antisemitische und antiisraelische Postings in den sozialen Netzwerken mit Likes versehen. Der Senat der Universität stellte ihr den Rücktritt nahe, hat aber kein Abberufungsverfahren gegen sie in Gang gesetzt. Die Präsidentin versuchte, sich mit Ausreden und Entschuldigung aus der Affäre zu ziehen, ihren Posten zu räumen, weigert sie sich aber. Im Ergebnis hat sie ihren Ruf und den ihrer Universität beschädigt. Der Bundeskanzler, dem sie in einem Gremium als Beraterin diente, trennt sich nun von ihr. Es gab viel Häme und Kritik an der Präsidentin, allerdings hat sie auch nicht wenige Unterstützer, die ihre politische Meinung, sprich ihren Israelhass und ihren Antisemitismus teilen. Das ist keine erfreuliche Entwicklung, die sehr derjenigen an vielen amerikanischen Unis ähnelt.

Des Autors bitteres Fazit lautet zum Schuß: „Machen wir uns nichts vor: Der Hass auf uns hat nie aufgehört – ob Antisemitismus von links, rechts, der Mitte der Gesellschaft oder von Migranten: Seit dem 7. Oktober zeigt er sich nur noch offener und aggressiver als ohnehin schon. Nun ist die Lebenslüge entlarvt: Die Deutschen haben nach Krieg und Shoah nur gelernt, die Klappe zu halten. Sie haben einen Damm gebaut, der das Hochwasser im Zaum hielt. Einen Damm aus sehr deutschen Worten wie ‚Erinnerungskultur‘, ‚jüdische Mitbürger‘ und ‚Nie wieder […] Aber der Damm ist gebrochen. Die ersten Koffer sind schon gepackt.“ Dieses Buch warnt die Gesellschaft, die dem Antisemitismus Spielraum lässt, denn sie taumelt in den Abgrund. Und Deutschland „hat die Wahl“.

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AUTHOR

Elvira Grözinger

Born 1947 in Poland as child of Holocaust survivors, grew up in Israel. Received a B. A. from the Hebrew University Jerusalem (English and French Literatures, Jewish History, History of Arts). Since 1967 in Germany –  Translators’ Diploma from the University of Heidelberg, studied then German Literature and Jewish Studies in Frankfurt on the Main. Doctorate in General and Comparative Literature from the Freie Universitaet Berlin. Worked as Lecturer in Literature and Scientific Researcher at Universities and academic Institutes in Frankfurt, Darmstadt, Potsdam and Berlin, now retired. As a long time WIZO-member she was for many years on the boards in Frankfurt and Berlin, and on the German Presidential Board. In 2007 she co-founded the German Section of SPME, and had been elected as its Vice President. Since February 2017 she is the President of the SPME-Germany. As publicist she gives lectures and publishes scientific and press articles. Author of 9 books, mainly on Jewish culture and literature and of over 200 scholarly articles and reviews.

Elvira Groezinger is married to Prof. em. of Religious and Jewish Studies, Karl E. Groezinger, affiliated Professor of the University of Haifa, has one married daughter who is a dermatologist, and two grandsons.

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